Es mag vielleicht ein düsterer Gedanke sein, vor allem zum Wiedereinstieg in die virtuelle Welt des Schreibens, welche davon lebt, dass sich stets über Befindlichkeiten und Seinszustände geäußert wird, möglichst zeitnah zum vermeintlich tatsächlich realen Geschehen, und wenn man bedenkt, wie lange ich nun schon nicht mehr geschrieben habe, von Onlinepostings soll erst gar nicht die Rede sein, dann könnte man diese Zeilen ohne allzu viel Übertreibung ja sogar als eine Art Wiedergeburt sehen, die Auferstehung des Kindes, das nie wirklich gelebt hat, bevor es sich aus unbekannten Gründen dem Dasein mit dem Dogma seiner hartnäckigen Abstinenz gewidmet hat, aber, um zurück zum Wichtigen zu kehren, es ist wahr:
Ich werde sterben.
Fast bin ich versucht "Kein Grund zur Panik!" zu rufen, es ist nicht allzu akut, das wage ich mit auf einer gewissen Wahrscheinlichkeit beruhenden vernünftigen Sicherheit voraus zu sagen, doch diese drei Worte haben, ich gebe es unumwunden zu, etwas bedenklich Gravierendes an sich: Ich werde sterben.
Ich habe keine Krankheit, die mich in nächster Zeit das Leben kosten würde, zumindest weiß ich im Augenblick von keiner und hoffe, dass das auch noch eine Weile so bleibt. Auch habe ich keine Morddrohung erhalten, die mir ein gewaltsames Ableben in unmittelbarer Zukunft in Aussicht stellte, das wohl ohnehin lächerlich dramatisch und obendrein so sinnlos wie der liebe Tod selbst, da es bei mir nun wirklich nichts zu holen gibt, außer das Leben.
Und, nein, ich bin auch nicht, wie einige hoffen, andere vielleicht fürchten werden, wieder in den Schoß einer monotheistischen Religion zurück gekehrt, die mir nahe legt, doch noch während des Lebens zu sterben, damit ich jenseits des Jordan dafür umso besser lebe, ein Gedanke, auf den manch einer fälschlicher Weise bereits bei der Erwähnung des Wortes Wiedergeburt verfallen sein mag.
Es ist simpel und einfach, vergnüglich oder nicht, ein denkenswerter Gedanke:
Ich werde sterben.
Grammatikübung - VerbenMan könnte das als Vollverb verwendete Hilfsverb
sein im Futur Indikativ
werden ersetzen, der Einfachheit halber im Präsens, etwa durch das Modalverb
müssen:
Ich muss sterben. Auch die Verwendung des Modalverbes
dürfen ist nicht verboten:
Ich darf sterben.
Wollen hat einen etwas unangenehmen Beigeschmack, kommt im Zusammenhang mit dem Tod aber auch zu oft vor, als dass man die Variante unter den Tisch fallen lassen könnte: Ich
will sterben. Die banalste Modalform steckt wohl in
können:
Ich kann sterben. Etwas unverständlich, solange man nicht gedanklich ein externes Agens hinzu zieht, etwa einen Mitmenschen, einen Gott oder ein Klavier, das vom Himmel fällt, verhält sich schließlich
sollen:
Ich soll sterben. Der Gedanke hat, so finde ich, bei näherer Betrachtung auch schon wieder etwas Tröstliches an sich.
Bleibt man beim Indikativ, so lässt dieser sich als nächstes in der Zeit verändern, was sowohl grammatikalisch als auch inhaltlich gravierende Bedeutungsveränderungen mit sich bringt.
Präsens etwa:
Ich sterbe, purer Humbug im ersten Hinsehen, entwickelt die Aussage aber eine eigentümliche Dynamik, wenn zum Beispiel die noch verbleibenden Lebenstage als Kalenderblätter gedacht werden, deren jeweils eines am Ende eines jeden Tages als abgestorben zu Boden fällt.
Ich starb könnte die Aussage eines Norddeutschen Beamten sein, der Petrus an der Himmelstür in geschliffener Geschäftssprache zu erklären versucht, warum er nicht mehr bei der Arbeit sei, und
Ich bin gestorben wäre dann die österreichische Version selbiger Situation.
Die in Wirklichkeit sehr seltsame Aussage
Ich bin gestorben gewesen (Plusquamperfekt) klingt deshalb so vertraut, weil sie sonntäglich in allerlei Kirchen im Zusammenhang mit einer Geschichte vorgetragen wird, deren Wurzeln so weit in der Vergangenheit zurück liegen, dass allein ihre Wiederholung sie am Leben erhält.
Ich werde gestorben sein (Futur II) weckt ebenfalls religiöse Gefühle, bezieht die Aussage doch Kraft aus der Hoffnung, dass nach dem eigenen Tod noch etwas Relevantes existieren werde, worauf man sich jetzt schon beziehen und worüber man jetzt schon sprechen könne.
Werden, die Futur-Form von sein, lässt sich ins Präsens in diesem Fall auch mit Hilfe des Tricks der Umwandlung des Verbs-Geschlechts von Aktiv in Passiv in die Gegenwart befördern:
Ich bin gestorben, mit ähnlichem Effekt wie bei letztgenanntem Futur II. Der der sehr reale Indikativ wird hier inhaltlich zu einer abstrakten Aussage, der Geist schwebt über dem leblosen Körper und kommentiert dessen Seinszustand.
Das Grammatik-Experiment lässt sich noch eine Weile fortsetzen, vor allem, indem man die Personalform austauscht und damit etwa Aussagen trifft wie:
Du wirst sterben. oder Er
wird sterben. oder in Verquickung mit veränderten Verbzuständen:
Wir waren gestorben. bzw.
Ihr werdet gestorben sein. oder absurder, wieder erweitert um ein Modalverb: Sie
werden gestorben sein müssen.
Ich breche die Übung an dieser Stelle ab, empfehle die eingehende Beschäftigung mit selbiger im Selbststudium zum Morgenkaffee und kehre zurück zum Ursprung.
Ich werde sterben.
Der Tod ist das einzig Sichere im Leben. Ohne Entrinnen, ohne Gnade, ohne Argumente. Ich werde einmal nicht mehr sein. Ich werde einmal das Zeitliche segnen, mich über den Jordan begeben, als Körper verwesen und ins Allgemeingut des Universums zurück kehren, als Geist vielleicht in den Gedanken anderer noch eine Weile fortbestehen, aber leben werde ich einmal nicht mehr.
Nicht nur einem kontrapunktivistisch veranlagten Menschen, wie ich einer bin, wohnt dem Nachdenken und Grübeln über den Tod, dem ich selbstverständlich noch eine ganze Weile nachgehen werde, auch das Denken über das Leben inne. Zum Glück, sonst könnte man ja trübsinnig werden.
Diesem Leben werde ich jetzt nachgehen und ich werde versuchen es zu fassen.
Ich werde sterben. Wünscht mir Glück.